Die Herzen sollen der Ort der Erinnerung sein

Jostmeier spricht auf IBB Studientag / Umgang mit der Geschichte ist politisch brisant - Zeitzeugen aus Belarus bieten Gespräche an

„Es kommt darauf an, aus unseren Herzen einen Ort der Erinnerung zu machen“, sagte Michael Mertes, Staatssekretär für Europa und Medien in der NRW-Staatskanzlei: Denn die „Brücken einer gemeinsamen Erinnerungskultur“ zwischen Deutschland und Belarus - so das Thema des IBB- Studientages am Samstag, 30. August 2008, mit rund 150 Teilnehmern aus beiden Ländern im Dortmunder Reinoldinum – müssen erst gebaut werden.
Belastbare Pfeiler für Völker versöhnende Brücken hat das gastgebende IBB schon gesetzt, wie IBB-Geschäftsführer Peter Junge-Wentrup in seiner Eröffnungsansprache betonte: Mit der Arbeit der Geschichtswerkstatt Minsk, dem Projekt „Altern in Würde“ in Minsk und vielen Kontakten zu Zeitzeugen in Belarus. 24 von ihnen, der älteste 93 Jahre alt, waren aus Belarus und den USA zum Studientag angereist. Die Tagungsteilnehmer blickten eher nach vorn als zurück. „Wie werden wir in Zukunft die Erinnerung an die Gräuel des Zweiten Weltkrieges wach halten können, um zu verhindern, dass sich so etwas wiederholt?“, formulierte Junge-Wentrup die zentrale Frage, die mit Zeitzeugen aus Belarus, Politikern aus beiden Ländern und geschichtsinteressierten Vertretern von Nichtregierungsorganisationen diskutiert wurde.  
 
 „Jeder Quadratmeter in Belarus ist mit Blut getränkt“, verdeutlichte Mahnmal-Architekt Leonid Lewin (Foto oben mit W. Jostmeier), 72. Rund 2,2 Millionen Menschen waren in Folge des deutschen Überfalls 1941 getötet worden, ein Viertel der Bevölkerung des neuen EU-Nachbarlandes. Lewins Verdienste würdigt das IBB aktuell mit dem Buch „Architektur als Gratwanderung“ von Dr. Astrid Sahm, Leiterin der IBB Minsk. Ihr Vortrag und eine Foto-Ausstellung rückten Lewins Werk auch auf dem Studientag in den Mittelpunkt. „Meine Werke sind zum ersten Mal auf deutschem Boden“, sagte der 72jährige sichtlich bewegt. „Für Sie mag es eine Episode sein, für mich ist es wichtig, dass Ihr Blick auf meine Arbeit gefallen ist.“ Nie wieder Krieg, lautet seine klare Botschaft. „Der Krieg hat mir die Mutter genommen als ich vier Jahre alt war, die Wärme, die Kindheit. Warum soll ich schweigen?“, bezog er Position gegen Gewalt und für ein friedliches Miteinander. 
 
„Das Geheimnis der Versöhnung heißt Erinnerung“, zitierte IBB- Vorstand Professor Manfred Zabel ein Leitmotiv des IBB. Dem Krieg im Kaukasus sei ein „Krieg der Erinnerungen“ vorausgegangen. Der Umgang mit der Geschichte sei folglich politisch brisant für die Friedenssicherung. Er appellierte deshalb an alle Verantwortlichen in Ost und West, weiter nach Wegen der Verständigung zu suchen.
 
Zum Umgang des Staates und des einzelnen mit der Geschichte, stellte Staatssekretär Michael Mertes zehn Thesen vor. Der Staat müsse einen Frei- und Schutzraum für die Erinnerungsarbeit verschiedener gesellschaftlicher Gruppen schaffen. Und der Staat müsse tolerieren, dass es widersprüchliche Bewertungen geschichtlicher Ereignisse gebe. Der Weg zu einer gemeinsamen europäischen Erinnerungskultur sei deshalb weit. Der Gefahr des kollektiven Gedächtnisverlustes müsse eine wehrhafte Demokratie jedoch entschieden entgegentreten. 
 
Eine Aufrechnung von Verbrechen sei nicht zulässig, unterstrich auch Werner Jostmeier, Vorsitzender des Hauptausschusses im Landtag, Mertes’ Thesen: Veranstaltungen wie der IBB- Studientag zeigten, dass mit geringem finanziellen Aufwand ein großer Beitrag zur  Völkerverständigung geleistet werden kann mit der klaren Botschaft „Wehret den Anfängen“.
Redner-
Petra Rentrop vom Zentrum für Antisemitismusforschung an der TU Berlin berichtete über den aktuellen Stand der Forschung. Dr. Kusma Kosak stellte die Arbeit der Geschichtswerkstatt in Minsk vor, Marina Batschilo das Projekt „Altern in Würde“ in Minsk und Hinrich H. Rüßmeyer berichtete über die Spurensuche in den Regionen.   
 
Einige Zeitzeugen hatten in den Tagen vor dem Studientag Schulen in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen besucht und nicht nur gute Erfahrungen gemacht: „Die Schüler wussten sehr wenig über das Ghetto in Minsk“, beklagte Leonid Rubinstein, 81. Trotz ihres hohen Alters wollen die Zeitzeugen gern ihre Erfahrungen weitergeben. „Wir leben noch, fragt uns“, gab Professor Zabel die Botschaft der betagten Gäste aus Belarus weiter.  
 
„Wir werden eine gemeinsame Erinnerungskultur erreichen“, zeigte sich Viktor Marachnin, Abgeordneter des belarussischen Nationalparlaments, am Ende der Tagung zuversichtlich. Schließlich gebe es nicht nur die Erinnerung an die Verbrechen während des Krieges. Die Hilfe des deutschen Volkes nach der Tschernobyl-Katastrophe für die Menschen in Belarus sei unvergessen. „Wir haben uns die Hand gereicht und wir ziehen gemeinsam an einem Strang.“